Ohrbooten

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"Streetpunk mal anders“ gekürzte Fassung
Irgendwann, Anfang diesen Jahres lag in meinem Briefkasten eine CD. Typ: Single, Band: Die Ohrbooten, Titel: An alle Ladies, Stil: ?!?. Ja, keine Ahnung. So richtig vermochte ich das nicht einzuordnen. Mit Punkrock hatte das Ganze aber herzlich wenig zu tun. Oder doch? Na gut, ich will mal versuchen, Euch aufzuklären. Sie selbst bezeichnen ihre Musik als „Gyp Hop“ und das trifft es wohl am Ehesten. Hip-Hop-Klänge gepaart mit fetzigen Gypsie-Melodien.
Das würde mich aber nicht so vom Hocker stoßen. Viel mehr war ich überrascht und beeindruckt von den guten Texten (die man in diesem Genre seit dem ganzen AGGRO-Kram nicht mehr unbedingt erwartet), die zudem auch noch im krassen Berliner Dialekt vorgetragen wurden. Das allein rief in meinem Gesicht schon den ein oder anderen Schmunzler hervor. Und als ich dann das Album bekam, war ich vollends weg. Da wurde dann auf gesamter Länge von Sachen gesungen, die man ohne weiteres auch in der Punkmusik finden könnte. Tja und ganz weit hergeholt ist das bei genauerem Betrachten auch wieder nicht. Erschienen doch sowohl Single als auch Album auf JKP. Genau. Dem Label der TOTEN HOSEN. Und mehr und mehr bekam ich den Wunsch, mich mal ein wenig mit den Leuten zu unterhalten. Wie kommt man denn auf so was? Tja, und siehe da. Es klappte sogar. Auf einem Donnerstag früh um 13 Uhr traf ich dann die sehr sympathischen 4 Leute bei einer Session in unserem Radio. Dabei eröffnete mir der Percussionist „Onkel“, daß er sogar ursprünglich aus der Metal-Ecke kommt, was ich wiederum sehr beeindruckend fand.

Grenzen sprengen. Leute, die aus vorgegebnen Sachen einfach ausbrechen - davor ziehe ich immer meinen Hut. Und wenn sie jetzt auch noch kommerziellen Erfolg bekommen, dann freue ich mich sogar für sie. Denn erstens hätte ich sie und ihre Musik sonst nicht kennen gelernt. Und zweitens, ist das schon wieder cooler als der oben angesprochene AGGRO-Mist oder sonstiger Müll. Hier habt IHR die Chance sie kennen zu lernen. Und ich kann Euch nur raten, auch mal ein OHR zu riskieren.

Hallo! Für ein Ska-Punk-Worldbeats-Magazin ist es vielleicht etwas ungewöhnlich, dass ich Euch hier zu sitzen habe und Euch ein paar Fragen stellen will. Aber was soll´s? Irgendwie hat mich Eure Musik begeistert. Woran kann das liegen?
M: Hmmh. Vielleicht liegt es daran, dass Leute von uns auch schon Punk gemacht haben und dieser Einfluss auch zu hören ist. Einfach.
N: Also ich hab zum Beispiel mit Punk angefangen. Matze auch. Und ich meine, Punk und Reggae sind ja jetzt schon so ein bisschen connected. Von den Szenen. Schon immer. Und Ska und Punk. Und das ist auch Teil unserer Musik. Auf jeden Fall.

Wer seid Ihr denn überhaupt? Wo habt Ihr Euch kennen gelernt, seit wann macht Ihr Musik zusammen und überhaupt. Stellt Euch doch einfach mal vor.
B: Also ich bin der Ben. Ich schreibe Texte, spiele Klampfe und komm immer mit so komischen Ideen an.
N: Ich bin der Noodt, Ich bin für die Tasten zuständig bei den OHRBOOTEN und singe ein paar Backings und spiel auch den Bass auf den Tasten.
M: Ich bin Matze und spiel Gitarre und singe.
O: Ja und ich bin der Onkel. Und bin zuständig für die ganzen Sachen, die Krach machen, die laut sind und so schlagzeugverwandt sind. Und singe auch noch Backings.
N: Ja und wir spielen als die OHRBOOTEN seit zwei Jahren ungefähr zusammen. Und wir, also wir drei (Ben, Noodt und Onkel) haben uns in Hamburg kennen gelernt, bei einem Workshop und haben in Berlin dann einfach weitergemacht. Ein bisschen gespielt. Ein paar Songs gebastelt und so. Und der Matze war währenddessen in Australien. Und als er dann wieder kam.
B: Aus Tralien…
N: Als er aus Tralien wieder kam, sagte der Ben, ich hab da noch so einen Gitarristen, der spielt jetzt einfach mal mit bei uns und das war dann auch völlig cool für alle…
M: …Und der Ben und ich kennen uns schon ein bisschen länger. So seit 1997 und machen seit dem auch Musik zusammen.

Was habt Ihr da in Hamburg genau gemacht?
N: Da war so in Hamburg, da gibt es so einen Workshop, der heißt Popkurs. Oder auch Kontaktstudiengang Popularmusik an der Musikhochschule in Hamburg. Da haben sich so Bands gefunden wie zum Beispiel SEEED, WIR SIND HELDEN, FURY IN THE SLAUGHTERHOUSE, SELIG. Da kommen ne ganze Menge Bands her, die sich da eben getreu dem Motto Kontaktstudiengang kennen gelernt haben und da irgendwie weiter gemacht haben. Das ist irgendwie cool, Songs auszuprobieren, die man geschrieben hat. Da macht man irgendwie so eine Art Bandklinik und lernt auch ne ganze Menge übers Business und auch ne ganze Menge Leute kennen und wir haben uns eben spannenderweise dort kennen gelernt.

Und Ihr habt da einfach zusammen gesessen und Songs geschrieben?
O: Nee, das funktionierte anders. Aus jeder Instrumentengruppe sind da 5, 6 Leute und auch ein Sänger und da gibt es dann 8 Räume oder so, die dann rund um die Uhr offen sind, bis 12 oder so. Dann gibt es auch noch Unterricht dazu. Und die Leute laufen sich ständig übern Weg. Und wenn einer den anderen interessant findet, dann sagt der, ey komm doch mal in den Raum 225 in dem Keller ohne Tageslicht vorbei und lass mal Krach machen.
N: Aber wir haben da schon zusammen ein paar Songs geschrieben. Das ist schon so ein kreativer Pool da.

Stammen aus dieser Zeit schon Stücke vom jetzigen Album?
B: Ich hab mich bei dem Ding mit 2 Nummern beworben. Ich hatte erstmal ein paar Songs geschrieben mit Noodt. Und die haben wir ganz cool zusammen umgesetzt. Und danach, das war so geteilt in zwei Hälften, 2 mal drei Wochen, in der Zeit dazwischen, das waren 4 Monate, da haben wir uns dann getroffen und angefangen, an Sachen zu arbeiten. Den „Jammerlappen“ und „Und Tschüß“ und „Stadtkind“, das haben wir da schon gemacht. Auf dem Album sind auf jeden Fall diese Stücke und „Müde Krieger“ aus dieser Zeit.
N: Keine Ahnung. Da ist schon viel Material entstanden, was es auch auf das Album geschafft hat.

Ihr lebt alle in Berlin. Das bedeutet ja nicht zwangsläufig, daß man auch gebürtiger Berliner ist. Davon trifft man eigentlich die wenigsten. Wie sieht es bei Euch aus?
M: Also der Onkel und ich sind schon Berliner.
O: Ich bin mit 3 Jahren zugezogen worden.
M: Genau. Und der Noodt ist vor 5 Jahren aus Hamburg zu uns gekommen.

Namensfragen sind mir immer ein bisschen peinlich, weshalb ich sie meist weglasse. Aber was steckt hinter den OhrbOOTen? Also mit Doppel-O? Ein tieferer Sinn? Ein Wortwitz? Oder muss man das jetzt auch, wie heutzutage üblich "neudeutsch", also "Ohrbuten" aussprechen!? Wollt Ihr irgendwas booten in den Leuten?
O: Schön gesehen.
N: Zweimal ja. Kann man halten, wie ein Dachdecker, ob man nun OhrbOten oder OhrbUten sagt. Eigentlich sind wir die Boten, weil, es hat schon was mit Botschaft zu tun. Weil wir irgendwie ne Message in den Texten vermitteln wollen. Aber…
M: Außerdem wird Noodt mit Doppel-O geschrieben und der Onkel mit einem O.
O: Genau. Das macht zusammen 3 O und daher haben die OHRBOOTEN auch 3.
B: Ja und das Ding ist halt, das Boot ist ein schönes Bild. Weil, wir sitzen in einem Boot und fahren rum, sozusagen. Metaphorisch gesehen. Naja. Auch in der Realität. Letzten Sonntag sind wir mit nem Boot durch die Kanäle gefahren.
M: Die Spree.
B: Haben Wasserstrassenmusik gemacht. Das war auch sehr lustig.

Also von den üblichen Strassen jetzt aufs Wasser.
M: Genau.
B: Naja. Machen wir ja auch immer noch.
O: Naja. Wir haben die ganzen Freischwimmer und Badeschiff, Oststrand von der Spree aus bespielt.

Is klar. Neue Märkte entdeckten. Nicht immer nur eingefahrene Wege begehen…
Alle: Exakt.
O: Eingeschwommene Wege meinst Du.

Ihr habt nun jüngst eine neue Platte veröffentlicht und zumindest die Single „An alle Ladies“ hat es in einigen Sendern auf Rotation gebracht. Habt Ihr mit dem Erfolg gerechnet oder gar darauf hingearbeitet?
M: Also wir sind jetzt seid Anfang des Jahres unter Vertrag. Und es ist schon so ein wenig abgepasst. Also es ist jetzt nicht so, dass wir einfach ins Radio gekommen sind. Also es war schon geplant. Und auch die Single haben wir schon bevor wir ins Studio gegangen sind ausgewählt. Zusammen. Also es war schon klar, dass es dieses Lied sein wird und dementsprechend haben wir es dann auch so aufgetischt. Sozusagen.

Sowohl Single als auch Album ist auf dem Label JKP veröffentlicht worden. Dem Label der TOTEN HOSEN. Damit haben wir wenigstens den Punkbezug zum Voice of Cultue wieder einigermaßen hergestellt. Wie kam es dazu? Kontakte? Ich meine, musikalisch hätte man da ja am wenigsten mit gerechnet, dass dort mal so was erscheint.
B: Ja, es ist auf jeden Fall ein persönlicher Kontakt. Also es gibt einen Kontakt zu Campino. Den hab ich mal kennen gelernt. Da ging es dann so - Hey, Du machst auch Musik. Und - hier hör mal… - dann hat das so Step by Step seinen Lauf genommen. Es war jetzt nicht von Anfang an geplant. Dann hat er es eben dem Geschäftsführer vorgestellt von JKP, der jetzt unser Manager ist, Patrick Orth. Ja und irgendwie passt es ja doch. Musikalisch o.k., aber jetzt textlich. Die Hosen schreiben ja auch Lieder und sind auf irgendeine Art auch politisch. Vielleicht sogar etwas mehr als wir. Aber auch wir haben Politik zwischen den Zeilen und es ist punkverwandt, deutsche Texte. Also es ist jetzt schon nicht so weit von einander entfernt. Und menschlich stimmt es eben auch. Also wir sind da echt sehr gut beraten.

Ihr seid also zufrieden und glücklich mit dieser Labelwahl… Standen andere Labels zur Auswahl?
M: Also die Hosen, oder Patrick in dem Sinne hat schon versucht, uns auch zu vermitteln. Es wurde erst ne Demoproduktion gemacht und dann war eigentlich der Plan, dass wir irgendwo was bei nem Major machen. Also von denen vermittelt bekommen. Aber die Majors waren alle immer so komisch drauf. Da gab es dann immer irgendwo das Haar in der Suppe bei uns. So - ja, das ist ja cool, aber vielleicht könnte man ja doch so und so machen. Und bei den Hosen war es dann so, dass sie uns von Anfang an respektiert haben. So wie wir sind. Und als dann irgendwann diese Art Gleichgültigkeit bei den Majors da war, was auch mit der Marktlage ein bisschen zu tun hat - es werden gerade wenig deutsche Acts gesignt, vielleicht mittlerweile wieder, weiß ich nicht so genau, haben JKP gesagt, o.k., komm - wir machen es selber.
N: Ja und daher sind wir auch total happy. Wir sind eine von zwei Bands. Die Leute da wissen echt, was sie tun. Die kennen ihren Job ziemlich gut. Kennen auch geile Leute, die uns sicher weiterhelfen können. Und wir können die Tag und Nacht anrufen, wenn wir auch noch so eine dumme Frage haben und uns wird immer geholfen. Das ist fantastisch.

Ist es jetzt vielleicht so, dass Leute, die normalerweise die HOSEN hören, vielleicht auch auf Euch kommen. Vielleicht ein bisschen geöffnet werden, was neue Musik(stile) angeht?
(erst allgemeine Ablehnung, dann…)
B: Also ich glaub schon. Das kann ich mir durchaus vorstellen, dass junge Menschen so mit 14, 15, dass die mit Songs wie „Jungelpartei“ oder „Politix“ was anfangen können.
O: Ja, aber ich glaub jetzt nicht, daß die ne OHRBOOTEN-Platte kaufen, wenn sie bis dahin DTH-Fan waren, bloß weil da JKP drauf steht. Es ist ja auch gar nicht so im Fokus der Öffentlichkeit.
M: Die versuchen, das auch ein bisschen zu trennen, dass OHRBOOTEN nicht gleich HOSEN ist. So von wegen großer Bruder und so. Die versuchen das schon so, dass wir auf eigenen Beinen laufen.
B: Das ist schon was Anderes. Aber ich kann mir schon vorstellen, dass ein Jugendlicher ne OHRBOOTEN- und DTH-CD in seinem Regal zu stehen hat, ohne das Gefühl zu haben, da geht jetzt irgendwas fremd oder so.

Ja, ich zum Beispiel. Naja gut, ich bin ja auch nicht so wirklich ein Jugendlicher mehr.
B: Naja. Wir hören ja auch nicht nur Reggae und Rap. Wir hören ja auch noch andere Mucke.

Aber textlich geht es, abgesehen von der Musik, auch schon in die Vollen. Ja, auch da merkt man ein bisschen den Punkbezug. Wollt Ihr Euch damit auch ein bisschen vom ganzen AGGRO-BERLIN-Kram abgrenzen?
B: Nee, es ging nie darum, irgendwas mit dem AGGRO-Berlin-Kram zu tun zu haben. Also ich finde, unsere Art und Energie Musik zu machen war schon da, bevor die überhaupt angefangen haben, zu planen. Genau wie wir. Es war jetzt nie so nach dem Motto - Ah, jetzt sind die da, jetzt muss mal was passieren, wie machen wir das denn… Sondern wir sind einfach hier. Die sind da. Und vielleicht liegt in der Mitte die Wahrheit. Keine Ahnung. Also wir haben eigentlich ziemlich wenig mit der ganzen HipHopRap-Szene zu tun. Noch weniger als mit der Reggaeszene, mit der wir auch nicht so viel zu tun haben in Berlin, die wir aber gerade ein bisschen kennen lernen, weil es natürlich irgendwie passt. Und wir fühlen uns schon ganz wohl bei denen. Und die ticken uns auch und dann ist das schon ok.

Aber man kennt sich. Sagen wir mal, diese AGGRO-Leute…
Alle: Nö.
M: Wir haben auch gar nicht so das große Interesse, die kennen zu lernen.

Also ich bin ja immer noch der Meinung, dass das ein Riesengroßer Fake ist und dass es sich nur um ein großes Geschäft handelt. Beziehungsweise dass es ein einziger Spaß ist…
N: Ja, gerade so einer wir FLER zum Beispiel.
Alle: Oh Gott, jetzt geht´s schon wieder los (lachen)
M: Ja, jetzt kommt ne Sonderreferenz zum Thema FLER… Ja, ich halte das für´n Produkt.
O: Jetzt ist der Weg nicht mehr weit, dass wir irgendwann ne Schlägertruppe nach Hause bekommen. Das ist jetzt das dritte Mal.
M: Sagen wir so, ich hab das schon mal benannt. Das ist der „Alexander“ des deutschen Hip Hop.

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gekürzte Fassung - mehr in unserem VoC #4 Heft