Wagner Pa

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Musikdiebe + eine selbstverleumnderische Szene + ein Konzert in Frankfurt B.
Wagner Pa – Sala Apolo, 08.03.06

WAGNER PA und seine Band BRAZUCA MATRACA sind eine der wichtigsten Referenzen, wenn es um Barcelonas vitale Musikszene geht. Wagner war Mitbegründer des legendären „Club Mestizo“, ist seit Jahren als DJ und Musiker tätig, und hat Ende letzten Jahres sein bereits drittes Album „Melic“ herausgebracht. Genau der richtige Zeitpunkt also, um über seine Musik und die Charakteristika der spanischen Musikszene zu sprechen.

Als du angefangen hast aufzulegen, existierte Mestizo noch nicht. Welche Musik hast du damals gespielt?
Ich hab afrikanische Musik, Funk und Hip Hop aufgelegt. Das lege ich auch immer noch auf, weil es mir gefällt. Es gab zwar noch kein Mestizo, aber es gab Bands wie RADIO FUTURA und wir haben Partys veranstaltet, im Club Mestizo. Es gab aber keine Szene wie jetzt.

Was genau war der “Club Mestizo”? Ein Club oder eine Partyreihe?
Das war ein kleiner afro-senegalesisch-spanischer Club, eigentlich ein Kultur-Verein. Die Gründer waren ich, Javi Zarco [Manager von OJOS DE BRUJO], Max, ein Typ der eine Bar hatte, und ein Fakir.

Gibt es den heute noch?
Nein, der existiert schon lange nicht mehr. Aber wir haben weiterhin Sachen gemacht, kleinere Dinge, sind an andere Orte gegangen…

Wie siehst du die Mestizo-Szene heute?
Für mich existiert diese Szene nicht mehr. Es gibt zwar immer noch einige Bands, die einen Stilmix spielen, aber die Szene entstand damals, weil gleichzeitig mehrere Bands entstanden, die anfingen Stile zu vermischen. Gleichzeitig wurde auch viel Rock und Elektro gespielt. Wie dem auch sei, es existieren natürlich immer noch Bands von damals. Das sind genau diejenigen, auf die sich heute alle beziehen, wenn es um Mestizo geht.

Einige wenige wie OJOS DE BRUJO oder MACACO...
Ja, aber OJOS DE BRUJO machen kein Mestizo, sondern Flamenco.

Womit wir beim Altbewerten Problem angelangt wären, dass jede Band von sich selbst behauptet, dass sie kein Mestizo mache.
Nein, es geht nicht darum, was alle behaupten. Wenn du eine Mestizo-Band hast, ist es eine der grundlegenden Gesetze, zu sagen, dass du gerade kein Mestizo machst. Aber MACACO z.B. sind eine Mestizo-Band. Und OZOMATLI auch, und die kommen noch nicht einmal aus Barcelona. Außerdem klingen beide Bands sehr ähnlich.

Was sind also die Basis-Komponenten vom Mestizo – lateinamerikanische Musik mit spanischen Einflüssen?
Das hängt davon ab. Es gibt auch Bands wie CHEB BALOWSKI, die arabische Musik mit spanischen Einflüssen machen. Es ist halt eine Mischung, oder auch eine Einstellung. Vielleicht hängt das auch mit einer gewissen Attitüde zusammen, die vom Rock kommt, und die irgendwie mit der Hausbesetzer Szene zu tun hat. Alles ein wenig punkiger, mit einem Schuss Ragamuffin und Reggae, klar, und Marihuana. Das ist es. Viel Fusion und viele Dinge zusammen. Aber der Sound lässt sich nicht definieren, nur einige Dinge, die alle Bands gemeinsam haben.

Und warum existiert die Szene heute nicht mehr?
Weil ich sie nicht mehr sehe. Da wächst nichts mehr. Ich treffe mich nicht mehr mit Marina oder Panko [von OJOS DE BRUJO] im Studio, um Sachen zusammen zu machen. Und wenn es schon andere Länder erreicht hat, dann ist es schon nicht mehr hier. Von dem Moment an, wo du anfängst zu arbeiten und eigene Sachen im Studio zu produzieren, ist es schon nicht mehr da. Du spielst halt nicht mehr auf der Straße. Trotzdem gibt es noch kleine Bands...

…die eigentlich nur das kopieren, was vorher schon da war…
Ja, aber wie haben auch kopiert, und MACACO und OJOS DE BRUJO auch. Alle haben viel von anderen geklaut. MANU CHAO ist einer der größten Kopierer überhaupt. Wenn du so willst, klauen alle viel.

Eine Sache ist jedoch, verschiedene Einflüsse aufzunehmen, dabei aber seinen eigenen Stil zu bewahren, und eine andere ist, zu kopieren und wie jemand anderes zu klingen.
Ja, aber das Problem des Stils ist, dass es ihn einfach nicht gibt. Ein bisschen taka-taka-ta und ein bisschen latino gab es schon bei den LOS FABULOSOS CADILLACS und MANO NEGRA. Das Problem ist, glaube ich, dass viele Bands heute live wie RADIO BEMBA klingen. CHE SUDAKA, LA KINKY BEAT...Ich hab auch eine Band gesehen, die wie DUSMINGET klangen, dafür aber keine einzige, die OJOS DE BRUJO, MACACO oder uns gleicht.

Und deswegen gibt’s es auch nur diese drei Bands als Referenz, weil es die einzigen sind, die einen eigenen Stil haben, obwohl dieser aus anderen zusammengesetzt ist?
Ja, vielleicht…

Nach dem Schließen des Club Mestizo hast du im Sidecar angefangen aufzulegen?
Ja, es ist das dritte Jahr, das ich dort auflege. Seit einem halben Jahr mache ich die „Brazelona Sessions“ auch zusammen mit ANDYLOOP, meinem Partner.

War ANDYLOOP nicht vorher DJ in Berlin?
Ja, im illegalen Freitagsclub. Aber er ist ursprünglich aus Barcelona.

Du bist mittlerweile relativ gut bekannt im Ausland, spielst in verschiedenen Ländern und dein erstes Album hat sich 10.000 Mal verkauft. Wie erklärst du dir den Erfolg?
Eigentlich hat uns der Erfolg immer noch nicht erreicht. Wir spielen zwar häufig in Deutschland, Frankreich und Belgien, und einige Male in Italien und der Türkei, aber so bekannt sind wir auch wieder nicht. Dieses Jahr spielen wir dafür zum ersten Mal in Costa Rica und Mexiko.

Vor kurzem hast du auch in Australien aufgelegt. Was war das für eine Veranstaltung?
Das war auf einem Festival in Sydney, auf einer urban-latino Nacht, wo eine australische Mestizo-Band namens SEAN VENENO gespielt hat. Danach haben dann ich und weitere DJ´s aufgelegt. Das war sehr gut. Ich versuche jetzt ein Festival im September dort zu organisieren.

Letztes Jahr ist dein neues Album “Melic” auf den Markt gekommen, welches besser produziert und mehr nach Funk und Disco-Sound klingt. Wo siehst du die Unterschiede zu den vorherigen Alben?
Es gibt einige Lieder, die mehr nach Funk und Afrobeat klingen. Das erste Album klang mehr wie Clandestino von MANU CHAO, das sagen zumindest die Leute. Ich finde das nicht unbedingt so. Jedenfalls habe ich das erste Album aufgenommen, als ich Zeit hatte, ohne Eile. Es klingt sehr brasilianisch und sehr naiv. Das zweite Album haben wir zuerst auf Konzerten gespielt, und dann aufgenommen und eigentlich klingt es noch brasilianischer als das Erste. Und das Neue ist halt funkiger und freudiger.

Obwohl die CD´s sehr unterschiedlich sind, bleibt die Essenz doch brasilianische Musik. Was wird auf dem nächsten Album neues hinzukommen?
Ich würde gern mehr Beats verwenden, wie in den Soundsystems, d.h. mehr Reggae, Ragga, Reggaeton und Funky Carioca. Früher waren wir auch mehr wie ein Soundsystem, bevor wir die CD aufgenommen haben.

Es gibt auch eine Kollaboration mir dem berühmten brasilianischen Sänger Chico Cesar auf „Melic“. Woher kennt ihr euch?
Ich kenne Chico schon seit Jahren, weil ich damals sein erstes Konzert in Spanien organisiert habe. Jetzt habe ich einfach seine Managerin angerufen und er hat eingewilligt.

Und zum Abschluss: Wohin geht die nächste Tour?
Im Mai fahren wir nach Deutschland, um in Frankfort B zu spielen, in dem zweiten kleinen Frankfurt, nahe Polen.

Frankfurt Oder?
Ja, genau da. Ansonsten steht noch nicht viel fest, abgesehen von Mexiko und Costa Rica.

Dann viel Erfolg auf der Tour und in Frankfurt B, und auf der Suche nach widersprüchlichen Definitionen von nicht existenten Szenen.

Denn wie die alten Philosophen schon gesagt haben: Wissen ist, etwas definieren zu können. Und während wir vergeblich auf der Suche nach einer Definition der vermeintlichen „Mestizo-Szene“ waren – die Betonung liegt auf „Szene“, da es sich offensichtlich nicht um einen Musikstil handelt -, haben wir zumindest heraus finden können, was die Mitglieder dieser „Szene“ selbst nicht wissen. Und zwar wer oder was sie sind und zu was sie eigentlich dazu gehören. Das ist doch immerhin schon etwas!

Autor: Anne