„Dress up to mess up“

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Nun schreib ich ihn also doch, den x-ten Artikel zum Thema Punk und woher dieser Begriff und sein Erscheinungsbild eigentlich stammen. Anregung war für mich die Lektüre dreier Bücher, von denen zumindest eines Pflichtlektüre für alle Freunde der Punkrock-Musik ist: nämlich „Please kill me“ von Legs McNeill und Gillian McCain. Wer dieses Machwerk (mit um die 500 Seiten!) aufschlägt wird sofort an Jürgen Teipels „Verschwende Deine Jugend erinnert“. Der liebe Herr Teipel hat da nämlich weniger Eigenarbeit geleistet als er gerne behauptet und knallhart die formale Vorgabe von „Please kill me“ eins zu eins übernommen, mit deutschen Protagonisten aufgefüllt und fertig war der Bucherfolg. Die Geschichte des Punkrocks wird in beiden Büchern über Interviews mit Zeitgenossen chronologisch aufgearbeitet, was tatsächlich sehr fluffig zu lesen und mit herrlich vielen Insider-Anekdoten gespickt ist. Ein weiterer Klassiker der Punkrock-Literatur sind die „Lipstick-Traces“ von Greil Marcus. Eine deutsche Übersetzung liegt leider noch nicht vor, daher muss man seine vergrabenen Englischkenntnisse bemühen und sich durch den recht anspruchsvollen Text arbeiten, will man diesen Spuren folgen. Belohnt wird der geneigte Leser dafür mit einer ausnahmslos interessanten Perspektive auf die Punkbewegung, die die Kunstbezüge, hier vollem die der Dada-Bewegung, in den Fokus des Textes stellt. Zu guter Letzt habe ich die die Biographie von Vivienne Westwood (Untertitel: Die Lady ist ein Punk. Autorin Jane Mulvagh), Wegbegleiterin des Sex Pistol Managers Malcom McLaren und Haute Couture Göttin, als sehr hilfreich empfunden um Einblicke in die Entstehung des Punk-Looks zu erhalten. Ursprünglich, hier sind sich alle einig, geht der Begriff „Punk“ auf die New Yorker Legs McNeil (s.o.), John Holstrum und Ged Dun zurück, die als Teenager 1975 aus ihrer subkulturellen Leidenschaft für Fernsehserien, Bier, B-Movies und Fast Food ein Fanzine namens, na was wohl, PUNK gründeten. Der Begriff wurde bald synonym mit dem CBGBs sowie Bands wie den Ramones, Television, den New York Dolls und dem Extrem-Musiker Richard Hell gebraucht. Über Letzteren fand Punk seinen Weg in die britische Hauptstadt. Malcom McLaren, Kunststudent, Anarchist, Modeschöpfer, Musiker und Situationist (eine dem Dada angelehnte Weltsicht) aus London war hingerissen von dem kaputten Charme des Richard Hell: “Dieser Kerl sah aus, als ob er einem Abflussrohr entstiegen wäre ... beschmiert und verdreckt ... Um den scherte sich keiner und umgekehrt auch nicht. Er war so ein wunderbar langweiliger, verbrauchter, vernarbter, dreckiger Typ im zerrissenen T-Shirt. Und dann diese Stachelfrisur und das alles – keine Frage, dass ich das nach London mitnehmen würde. Ich wollte es nur etwas englischer machen.“ Dies bedeutete im Nachhinein vor allem eine Entintellektualisierung des Punks. Waren die Ur-Punker in New York noch Intellektuelle aus der gehobenen Mittelschicht mit Hang zur Poesie, galt in Großbritanien das Motto „Punk ist nicht politisch, Punk ist nicht intellektuell, Punk ist einfach nur irre!“.

In London besaß Malcom zusammen mit seiner Lebensgefährtin Vivienne Westwood die Boutique „SEX“, in der die beiden Fetischmode verkauften, welche zu diesem Zeitpunkt noch größtenteils von Malcom entworfen und von Vivienne geschneidert wurde. 1971 wurde die Boutique von den Beiden unter dem Namen „Let it rock“ in der Kings Road eröffnet. Damals führten sie in erster Linie Mode für Teddy-Boys und Rock´n Roller. Aus einer Ablehnung gegenüber der sexistischen Grundhaltung der Teds änderten sie den Namen 1973 in „Too fast to live too young to die“ (TFTLTYD) in Anlehnung an James Dean und verkauften von nun an Mode für Motorradrocker und Rockabillys. „Sex“ war die nunmehr dritte Styleänderung der Boutique, der noch zwei weitere folgen sollten: 1980 „World´s End“, eine Hommage an das Ende der Kings Road an die anarchistische Existenz der Piraten und einen Druck Hogarths; 1976 „Seditionaries“, ganz im Zeichen des Punk!). Lieferten die Sex Pistols den Soundtrack zur Punkbewegung, galt dies für in punkto Mode für McLaren und Westwood. Sie waren es, die mit dem Destroy-T-Shirt das Punk-Shirt schlechthin kreierten und den Style der Straße zur modischen Maxime erhoben, es schließlich im Mai 1977 sogar in die Modezeitschrift ELLE brachten. Dabei wäre es schlichtweg falsch zu behaupten, McLaren wäre der Initiator des Punks in Großbritanien. Mitte der Siebziger kletterten die Arbeitslosenzahlen in England auf ein Nachkriegshoch von 1,6 Millionen. Es herrschte eine schwere Wirtschaftskrise, das Land fing an auseinanderzufallen. Den städtischen Verfall und die apokalyptische Grundstimmung trugen die Jugendlichen demonstrativ zur Schau. Der Anarchist McLaren fing die Atmosphäre auf und projizierte sie auf Stoff und Sound. Doch auch den typischen Punk-Style entliehen Westwood und McLaren des Öfteren den eigentlichen Urhebern. So war es Johnny Rotten der als Erster Sicherheitsnadeln als modisches Accessoire etablierte; Sid Vicious der sich ein „gebrauchtes“ (angemaltes) Tampon ansteckte und mit Nazisymbolen hantierte; der Mohikanerhaarschnitt. Rasierklingen und Toilettenspülketten als Kleidungsstücke stammten von den Jugendlichen auf der Straße; das Make-up war eine Anlehnung an die Kajal-augen in Stanley Kubricks Film „Clockwork Orange“. Um die aus diesem Sammelsurium von Vivienne Westwood geschneiderten Kleidungstücke besser vermarkten zu können, kam McLaren auf die damals noch visionäre Idee, dass die Kleider eine Band brauchten – und gründete die legendären Sex Pistols. Die 1975er Urbesetzung bestand aus Rotten, Wally Nightingale (Gitarre), Paul Cook (Drums) und Glen Matlock am Bass, ein Kunststudent der 1977 durch John Beverly ersetzt wurde, besser bekannt als Sid Vicious. Die Texte der Sex Pistols fanden sich auf der Seditionaries-Kieidung wieder, so zum Beispiel der Textanfang von „Anarchy in the UK“ auf dem Destroy-T-Shirt. Andererseits wurde die Mode von Westwood und McLaren von den Musikern auf ihren Konzerten getragen und somit ein relativ erfolgreiches Product Placement betrieben. Original Kleidung aus dieser Zeit erreicht heutzutage Preise von mehreren Tausend Pfund.

Die harte Kernphase des Punk dauerte ca. 30 Monate. Einige Protagonisten wie Sid Vicious, Richard Hell und Nancy Spungeon überlebten sie nicht. Andere gerieten in Vergessenheit oder landeten ziemlich „rotten“ im britischen Dschungel-Camp. Eine Hauptdarstellerin, die damals eher im Hintergrund agierte, hat es jedoch geschafft. Vivienne Westwood, die dem Punk ein modisches Gesicht gab, gehört heute zu den wichtigesten und mutigsten Modeschöpferinnen aller Zeiten. Dieses Jahr hat sie Berlin verlassen. Liebe Vivienne, let there be punk!

Autor: Sunny Gun